Erfahren Sie mehr zur Zugsicherung bei der SBB und zu den drei Systemen, die dazu in der Schweiz eingesetzt werden.
Die SBB ist die Betreiberin des am stärksten genutzten und belasteten Schienennetzes der Welt. Auf dem mehr als 3000 Kilometer langen Netz verkehren täglich mehrere Tausend Züge, die rund eine Million Reisende an ihr Ziel bringen. Zusätzlich transportiert die SBB auf ihren Schienen ein Gütervolumen von mehr als Hunderttausend Tonnen pro Tag.
Die Zugsicherung spielt eine bedeutende Rolle für einen jederzeit pünktlichen und sicheren Personen- und Güterverkehr in diesem dicht befahrenen Netz.
Ein Zugsicherungssystem für ganz Europa.
Historisch bedingt gibt es in Europa eine Vielzahl unterschiedlicher nationaler Zugsicherungssysteme. Damit ein Zug von Rotterdam nach Genua verkehren kann, muss er aktuell noch über mehrere unterschiedliche Zugsicherungssysteme verfügen. Um den Wettbewerbsvorteil der Bahn zu stärken, wurde ETCS (European Train Control System) als europäischer Standard zur technischen Harmonisierung und zur Förderung des Schienenverkehrs in Europa entwickelt.
In Zukunft soll die Vielzahl der in den europäischen Ländern eingesetzten Zugsicherungssysteme durch eine sowohl technisch als auch betrieblich vereinheitlichte Lösung ersetzt werden, um eine dichte, schnelle und grenzüberschreitende Zugführung in ganz Europa zu ermöglichen.
Mit dem 2018 abgeschlossenen Rollout von ETCS Level 1 erfüllt die Schweiz als erstes Land in Europa die Anforderungen an die europäische Interoperabilität vollumfänglich.
Durch den netzweiten Einsatz von ETCS Level 1 und Level 2 kann das gesamte Schweizer Normalspurnetz heute ohne zusätzliche nationale Zugsicherungssysteme befahren werden.
Mit ETCS Level 1 fährt der/die Lokführer:in nach Aussensignalisierung. Zusätzlich werden Informationen im Führerstand angezeigt.
Dabei bleibt das ortsfeste Signalsystem mit nationaler Signalisierung und Gleisfreimeldung erhalten. Die Fahrbegriffe werden von den Aussensignalen über Signaladapter und Telegrammcodierer (LEU) abgegriffen und zusammen mit Streckendaten punktuell über Eurobalisen als Fahrerlaubnis auf das Fahrzeug übertragen. Der Fahrzeugrechner berechnet und überwacht aus diesen Daten kontinuierlich die höchstzulässige Geschwindigkeit und die Bremskurve.
Aufgrund der punktuellen Datenübertragung muss der Zug zuerst über die zugehörige Eurobalise fahren, um eine weitere Fahrerlaubnis zu erhalten. Mit dem Einfügen eines Euroloops zwischen dem Vor- und dem Hauptsignal wird der neue Fahrbegriff laufend übertragen. Der Euroloop ist die Verlängerung der Eurobalise über eine bestimmte Distanz. Er ermöglicht die kontinuierliche Datenübertragung auf das Fahrzeug mit einem elektrisch strahlenden Kabel.
ETCS Level 1 Limited Supervision (LS).
Das heute in der Schweiz vorhandene Zugsicherungssystem wurde anhand einer Gefahrenanalyse ausgelegt. Das heisst: an Signalpunkten mit hohem Gefahrenpotential wurden zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um dort den Zug mit einer Bremskurve zu überwachen (ZUB). Alle übrigen Punkte mit geringem Gefahrenpotential sind mit einer Warnung/Halt-Überwachung (SIGNUM) ausgerüstet.
Die ETCS-Norm mit den Level 1 und Level 2 ist in seiner Auslegung nicht skalierbar – das heisst, es müssen alle Streckenpunkte im so genannten Mode «Full Supervision» mit einer Geschwindigkeitsüberwachung ausgerüstet werden. Eine vereinfachte Überwachung als Abbild des heutigen Schweizer Signalisierungskonzepts lässt sich somit nicht implementieren.
Gemeinsam mit anderen Bahnen hat die SBB einen Änderungsantrag bei der zuständigen europäischen Behörde AEIF eingereicht, in dem die Forderung nach einem Modus «Limited Supervision» gestellt wurde. ETCS Level 1 Limited Supervision (L1LS) erlaubt eine skalierbaren Funktionalität, bei der jeder Signalpunkt mit soviel Sicherheit wie notwendig ausgerüstet werden kann.
ETCS Level 2 ist ein funkbasiertes Zugsicherungssystem. Die Fahrerlaubnis wird via Führerstandsignalisierung angezeigt. Bis auf einige Merktafeln wird auf die konventionelle Aussensignalisierung verzichtet.
Die Gleisfreimeldung und damit die Zugvollständigkeitsüberwachung sind weiterhin streckenseitig vorhanden. Alle Züge melden automatisch in regelmässigen Abständen ihre genaue Position und Fahrrichtung an die Streckenzentrale «Radio Block Centre» (RBC) über das Funknetz GSM-R. Die Bewegungen der Züge werden von der Streckenzentrale überwacht. Die Fahrerlaubnis wird von der Streckenzentrale dem Fahrzeug laufend via GSM-R geschickt.
Die Eurobalisen werden als passive Ortungsbalisen (elektronische Kilometersteine) eingesetzt. Zwischen zwei Ortungsbalisen ermittelt der Zug seine Position über Sensoren (Achsgeber, Beschleunigungsmesser und Radar). Die Ortungsbalisen dienen dabei als Referenzpunkte zur Korrektur von Wegmessfehlern. Der Fahrzeugrechner überwacht kontinuierlich die übermittelten Daten und die höchstzulässige Geschwindigkeit.
In der Schweiz wird bei ETCS Level 2 zwischen konventionellem Geschwindigkeitsbereich (KGB) und erweitertem Geschwindigkeitsbereich (EGB) unterschieden. Die Bereiche unterscheiden sich darin, dass der KGB Geschwindigkeiten bis 160 km/h und der EGB Geschwindigkeiten grösser 160 km/h bis 250 km/h umfasst.
Das Zugssicherungssystem ETCS Level 2 im EGB wird auf der Bahn-2000-Strecke Mattstetten–Rothrist, im Lötschberg-Basistunnel, sowie im Gotthard- und im Ceneri-Basistunnel eingesetzt. ETCS Level 2 im KGB wird beispielsweise auf den Strecken Brunnen–Altdorf, Biasca–Castione, Lausanne–Villeneuve oder Sion–Sierre angewendet.
Im Level 3 geht ETCS über die Funktionalität einer reinen Zugsicherung hinaus. Zusätzlich zur beschriebenen Führerstandssignalisierung im ETCS Level 2 wird die Abstandshaltung der Züge mit beweglichen Abschnitten realisiert.
Ortsfeste Gleisfreimeldeeinrichtungen (GFM) sind nicht mehr erforderlich. Die Züge orten sich wie im ETCS Level 2 mittels Ortungsbalisen und über Sensoren (Achsgeber, Beschleunigungsmesser und Radar) selbst und müssen darüber hinaus in der Lage sein, die Zugvollständigkeit fahrzeugseitig (Zugintegrität) auf höchstem Sicherheitsniveau festzustellen. Mit Abgabe der Ortungsmeldung an die Streckenzentrale kann immer festgestellt werden, welchen Punkt des Fahrweges dieser Zug bereits passiert hat. Für jenen Punkt kann dem nachfolgenden Zug bereits wieder eine Fahrerlaubnis erteilt werden. Die Fahrwegfreigabe erfolgt somit nicht mehr im Abstand ortsfester Gleisabschnitte, sondern über bewegliche Abschnitte (sogenannte «Moving Blocks»).
Mit dem Zugsicherungssystem ETCS Level 3 wird das klassische Fahren mit festem Raumabstand verlassen. Bei hinreichend kurzen Ortungsintervallen kann eine kontinuierliche Fahrwegfreigabe erreicht werden. Die Abstandshaltung der Züge folgen dem Prinzip des Fahrens im Bremswegabstand.
Als langfristiges Zielbild sollen sich die heutigen Anlagen Richtung ETCS L3 entwickeln.