Hintergrundgeschichten.
Dass im Wylerfeld gebaut wurde, ist offensichtlich. Aber was geschah eigentlich nebst den Bautätigkeiten sonst noch auf der Baustelle? In den Hintergrundgeschichten auf dieser Seite erfahren Sie es.
Über den beiden neuen Tunnelportalen entstanden zwei ungenutzte Flächen. Da im urbanen Umfeld nutzbare Flächen für ökologische Massnahmen immer rarer werden, hat die SBB die beiden Flächen von insgesamt rund 3‘000 m2 Fläche im Wylerfeld ökologisch sinnvoll aufgewertet.
Das Projekt Wylerfeld hat alle gesetzlich notwendigen ökologischen Ersatzmassnahmen umgesetzt und benötige deshalb keine zusätzlichen Ausgleichsflächen. Über den beiden Tunnelportalen entstanden jedoch aufgrund der Gleisgeometrien ungenutzte Flächen. Diese liegen inmitten betrieblich genutzter Gleise und sind somit für den Bahnunterhaltsdienst nicht nutzbar. Da im urbanen Umfeld nutzbare Flächen für ökologische Massnahmen immer rarer werden, hat sich die Projektleitung entschieden, die freigewordene Fläche im Wylerfeld ökologisch sinnvoll aufzuwerten. So wird sie für spätere Ausbauprojekte im Bahnknoten Bern als ökologische Kompensation nutzbar. Damit hat das Projekt die Chance genutzt und zwei Flächen von insgesamt 3‘080 m2 ökologisch aufgewertet. Neu gibt es zwischen den Betriebsgleisen im Berner Wylerfeld also Magerwiesen, Sandlinsen, Steingabionen und Holzelemente. Diese bestehen etwa aus Wurzelstöcken, Baumstämmen und Astmaterial.
(Die Bilder sind vom Juni 2022)
Die aufgewerteten Flächen bieten grosszügige Lebensräume für Flora und Fauna: Insekten wie Wildbienen finden Unterschlupfmöglichkeiten und Baumaterial für ihre Nester, und Reptilien wie etwa Blindschleichen und Mauereidechsen finden Verstecke und Aufwärmplätze. Die Standorte sind sonnenexponiert und bieten so ein besonders schützenswertes Umfeld für seltene Pflanzen.
Bei der grösseren Fläche wird zudem die strategisch günstige Lage genutzt. Täglich fahren rund 900 Züge beidseits dieser ökologischen Flächen hindurch. Somit sind diese Flächen prädestiniert, den Gedanken der Nachhaltigkeit für die Allgemeinheit sichtbar zu machen. Insbesondere weil mit „Bauen“ eher der Wegfall ökologischer Lebensräume assoziiert wird, ist es eine Chance, an diesem Ort einen Umweltaspekt des Projektes zu präsentieren. Nebst Magerwiese, Sandlinsen, Steingabionen und Holzelemente gibt es hier künstlerisch gestaltete Bauwerke aus Bauabfällen. Diese stammen aus dem Projekt Entflechtung Wylerfeld selbst und wären sonst entsorgt worden. Für den Bau unbrauchbar gewordene Spundwandprofile etwa dienen neu für die Erstellung von Sandlinsen und als Trinkstelle für Kleinlebewesen. Alte Fahrleitungsmasten und -joche sind neu als Halterung von Baustämmen umfunktioniert und ausrangierte Schienen werden zum Schutz für Hochstaudenbepflanzungen wiederverwendet.
Dabei wurde architektonisch die Nähe zum nahegelegenen Entwicklungsgebiet „Wankdorf City“ mit seinen kubischen Gebäuden aufgenommen. Ausserdem unterstreichen die besonderen ökologischen Ausgleichsflächen das SBB Zielbild zur Nachhaltigkeit für die Gesellschaft nahe des SBB Hauptsitzes im Wankdorf.
Um eine wilde Überwucherung, besonders durch Neophyten zu verhindern, gab es eine dem Standort angepasste regionale Saatmischung für magere Standorte auf beiden Flächen. Damit das Personal, das den Unterhalt der Grünflächen ausführen wird, sicher arbeiten kann, sind beide Flächen mit einem optischen Drahtzaun von den Betriebsgleisen abgetrennt. Da der Abtransport des Schnittgutes über die Betriebsgleise umständlich ist, wurden „Schnittgutgabionen“ (leere Gabionengitter mit Deckel) auf der Fläche platziert, damit das Schnittgut gleich vor Ort geordnet verfallen kann.
Ein Bauarbeiter hat bei der Baustelle Entflechtung Wylerfeld ein Bienenvolk entdeckt und ihm ein neues, sicheres Zuhause gebaut.
Modesto Coca Calderón arbeitet als Maurer EFZ bei der Bauunternehmung Frutiger AG, die im Auftrag der SBB Arbeiten im Wylerfeld ausführt. In der Freizeit interessiert sich Caldéron für die Imkerei, weshalb ihm im Mai 2021 auf der Baustelle Enftlechtung Wylerfeld sofort ein unbeaufsichtigtes Honigbienenvolk am Apfelbaum auf dem Installationsplatz aufgefallen ist. Andere Bäume hat es im sonst gewerblich geprägten Umfeld kaum. Um das Überleben des jungen und noch kleinen Volkes zu ermöglichen, hat Calderón die Initiative ergriffen und aus Baumaterialien einen Bienenkasten gezimmert. Die Haltung in einem Bienenkasten erhöht die Überlebenschancen der Bienen. «Hier in der Nähe der Baustelle könnte das Bienenvolk wohl kaum überleben, daher handelte ich sofort, um es zu retten. Zudem haben wir hier Arbeitskollegen, die auf Bienenstiche allergisch reagieren, womit ich auch diese gleichzeitig schütze», sagt Calderón, der den Bienenkasten mitsamt Volk mittlerweile zu sich nach Hause genommen hat, wo er sich auch nach Abschluss seiner Arbeit im Wylerfeld darum kümmern kann.
Umweltthemen sind wichtig in Bauprojekten.
Der engagierte Einsatz von Modesto Coca Calderón steht exemplarisch für die vielen Anstrengungen des gesamten Projekt- und Bauteams, mögliche negative Auswirkungen der notwendigen Bauarbeiten auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Darüber hinaus werden nachhaltige Umweltmassnahmen geplant und umgesetzt, zum Schutze der Umwelt. «Wo immer sich auch während der Ausführungsphase noch Möglichkeiten ergeben, werden diese genutzt», sagt Daniel Scheidegger, Fachprojektleiter Umwelt bei der SBB. Pascal Breitenmoser, Projektleiter Ingenieurbau und Stv. Oberbauleiter der Entflechtung Wylerfeld, fügt hinzu «wir sind auch stolz, dass wir mit solchen Geschichten aufzeigen können, wie wichtig uns die Umweltthemen trotz Baustellenbetrieb sind.»
Nach der Inbetriebnahme der Entflechtung Wylerfeld gibt es auf dieser Strecke mehr Verkehr. Trotzdem wird es nicht mehr spürbaren Betriebslärm geben als heute – dank moderner Verkleidungstechnik der SBB.
Nebst der kontinuierlichen Verbesserung des Rollmaterials, also der Züge, setzt die SBB auch in den Bauprojekten selbst Massnahmen zur Lärmreduktion um. So auch im Wylerfeld, wo es aufgrund des Ausbaus in den nächsten Jahren mehr Bahnverkehr geben wird als heute. Die SBB ist bestrebt, dass die Lärmbelastung für die Anwohnerrinnen und Anwohner trotzdem nicht wahrnehmbar grösser wird. Deshalb werden bei den beiden Tunnelportalen sowie den Rampenbauwerken schallabsorbierende Verkleidungen angebracht. Diese sind aus Lavabeton, ungefähr 40 Meter lang und 6 Meter hoch. Damit verschwindet der Lärm sozusagen mit dem Zug im Tunnel. Konkret verhindert der Lavabeton, das der Zuglärm an den Wänden reflektiert wird und nachhallt.
Aus freien Stücken.
Die SBB ist sich bewusst, dass die langjährigen Bauarbeiten unangenehme Emissionen wie Lärm und Erschütterungen für Anwohnerinnen und Anwohner mit sich ziehen. Leider lässt sich dies nicht vermeiden, wenn die, unter anderem vom Bund geforderte, hohe Qualität des Bahnnetzes bestehen soll. Deshalb setzt sie auch freiwillige Massnahmen gegen den Lärm um. Die im November und Dezember 2020 im Wylerfeld eingesetzten schallabsorbierenden Verkleidungen müssten - rein rechtlich betrachtet - nicht zwingend angebracht werden.
Der Grund liegt darin, dass die Berechnung des Lärms, der massgebend ist für die Festlegung allfälliger Massnahmen, auf einem Mittelwert beruht. Dieser zeigt den Lärm des Bahnverkehrs über den gesamten Tages-, bzw. Nachtzeitraum auf. Die Anwohnerinnen und Anwohner jedoch nehmen den einzelnen Zug wahr. Die im Wylerfeld eingesetzten Verkleidungen haben eine schalldämmende Wirkung auf den einzelnen Zug. Da der Lärm dadurch auf der Tunnellinie deutlich reduziert wird, realisiert die SBB diese Massnahme auch ohne zwingende lärmrechtliche Erfordernis. Der Nutzen ist hörbar, die Kosten tragbar.
Auf den Bauplätzen zur Entflechtung Wylerfeld wird nicht nur Sicherheit und Produktivität grossgeschrieben, sondern auch der Schutz wertvoller Pflanzenarten und deren Lebensräume. Eigens dafür begleitet die Biologin Daniela Schmocker von der IMPULS AG das Bauprojekt.
Daniela Schmocker, Sie sind die sogenannte «ÖBB», also die ökologische Baubegleitung. Was muss man sich darunter vorstellen?
Daniela Schmocker: Ich stehe der SBB in ökologischen Fragen beratend zur Seite und unterstütze Sie bei der Einhaltung der Auflagen für Natur- und Landschaftsschutz. So leite ich wo nötig Schutz-, Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen ein. Konkret heisst das etwa, dass ich vor Beginn der Bauarbeiten schaue, welche Pflanzen- und Tierarten im Bauperimeter zuhause sind und wie wir sie trotz Bagger und Beton erhalten können. Zudem bin ich dafür zuständig, dass sich im gesamten Gleisbereich invasive Neophyten, also gebietsfremde Pflanzenarten, nicht weiter ausbreiten und die einheimische Biodiversität bedrohen.
Und im Wylerfeld braucht es das tatsächlich? Das war doch schon vorher eine Schotterwüste…
Daniela Schmocker: Überhaupt nicht… Mir ist bewusst, dass das auf den ersten Blick nicht so wertvoll aussieht, aber die Gleisanlagen im Wylerfeld und ihre angrenzenden Flächen beherbergen ganz spezielle Lebensräume.
Wenn man die "Steinwüste" etwas genauer anschaut, entdeckt man eine unglaublich hohe Artenvielfalt. Es sind eher kleine Pflänzchen, die dem Laien nicht auffallen. All diese Pflanzen mögen sehr trockene und heisse Standorte, wie es sie nur im Wallis oder in den Trockenrasen im Jura gibt - oder eben entlang der Gleise im Wylerfeld. Die Biodiversität erstreckt sich auch auf die Tierwelt. So zeigte sich diesen Sommer im Wankdorf ein Bild, das ich eher aus dem Mittelmeer-Raum kenne: auf verdorrten Pflanzenstängeln tummelten sich hunderte Häuschen-Schnecken, um Schutz vor der Trockenheit zu suchen. Entlang der Gleise leben viele Mauereidechsen, die sich im Schotter verstecken. Für sie haben wir zusätzliche Verstecke gebaut, in den Blumenwiesen neue Steinlinsen und Steinkörbe, damit die Eidechsen auch die neuen Stützmauern hochklettern können.
Sie kümmern sich also auch um gefährdete Pflanzenarten. Haben Sie denn im Berner Wylerfeld solche gefunden?
Daniela Schmocker: Ja, in den Bahnböschungen im Wylerfeld wachsen viele für die Stadt Bern überaus seltene Pflanzenarten! Der Grosse Bocksbart mit seiner auffallend gelben Blüte, die kleine Zarte Miere oder aber die "Draba Muralis", auf Deutsch das Mauer-Felsenblümchen. Sie ist sehr selten und in der Schweiz auf der roten Liste der gefährdeten Pflanzen. Wo möglich werden diese wertvollen Flächen geschont und wo dies nicht geht, haben wir an mehreren Stellen jeweils vor dem Eingriff den Boden abgetragen und zwischengelagert. Der Boden wird bei Fertigstellung des Bauprojektes wieder eingebaut, so dass die Pflanzen hoffentlich schon bald wieder im Wylerfeld gedeihen. An einem Standort musste ich vor Baustart rund 15 Exemplare des Mauer-Felsenblümchens auf eine andere Fläche im Wylerfeld umsiedeln. Wir hoffen, dass die Pflanzen weiterwachsen und Samen abwerfen werden.
Die von Ihnen auferlegten Massnahmen zum Naturschutz verlangsamen gewisse Arbeitsschritte eines Bauprojektes. Wie beliebt sind Sie denn auf den Baustellen?
Es gibt sicher beliebtere Funktionen als meine…. Aber ich merke, dass die Akzeptanz langsam wächst. Das Bewusstsein der Bauunternehmerinnen steigt, aber ich werde teilweise schon noch belächelt und als mühsam angeschaut. Im Wylerfeld läuft es jedoch seit Beginn sehr gut, weil die Oberbauleitung hier viel Verständnis für ökologische Anliegen zeigt. Ich habe hier grosses Vertrauen, dass es auch gut läuft, wenn ich mal ein paar Wochen nicht auf der Baustelle bin.
Stimmt es, dass es eine Saatgutmischung nur fürs Wylerfeld gibt? Was ist da drin?
Ja genau, als Ersatz- respektive Aufwertungsmassnahme können wir im Rahmen des Bauprojektes mehrere Fettwiesen in artenreiche Blumenwiesen aufwerten. Diese bauen wir humusarm wieder auf und säen mit der speziellen Wylerfeld-Mischung Magerwiesen an. Für die etwas schattigeren Böschungen haben wir von UFA-Samen eine Spezialmischung zusammenstellen lassen. Darin wurde der Anteil an schattentoleranteren Blumen erhöht.